ZEHN - Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen

DGE-EMPFEHLUNGEN: ALLES NEU ODER DOCH ALTBEWÄHRT? WAS FACHKRÄFTE NUN WISSEN MÜSSEN

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) hat in den letzten Monaten die sogenannten lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen überarbeitet. Sie werden als alltagstaugliche Formate wie der DGE-Ernährungskreis dargestellt. Was hat sich durch die neue Methodik bei der Ableitung – Stichwort mathematische Optimierung – verändert? Wir haben Dr. Johanna Conrad, Leiterin des Referats Wissenschaft der DGE gefragt: Müssen wir uns an neue Ernährungsempfehlungen gewöhnen?

Interview DGE Dr. Johanna Conrad
© Fotostudio Lichtblick / ZEHN

Wir alle kennen sie: Die 10 Regeln der DGE sind eine bewährte Hilfestellung für eine ausgewogene Ernährung. Und auch der DGE-Ernährungskreis findet bereits in der Schulklasse Einzug. Warum wurde daran nun gerüttelt?

Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen regelmäßig zu überprüfen und zu überarbeiten ist wichtig, um auf dem aktuellsten wissenschaftlichen Stand zu bleiben. Dem kommt die DGE als unabhängige wissenschaftliche Fachgesellschaft nach. Zukünftig sprechen wir nicht mehr von „Regeln“. Die DGE-Empfehlungen „Gut essen und trinken“ zeigen, wie wir uns gleichzeitig bunt und gesund ernähren und dabei die Umwelt schonen können. Bei der Überarbeitung der lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen wurden nun nämlich zusätzlich zur Nährstoffversorgung auch die Reduzierung der Risiken für ernährungsmitbedingte Krankheiten sowie die Minimierung von schädlichen Umwelt- und Klimaeffekten (Treibhausgasemissionen und Landnutzung) mitberechnet. 

Wie leiten Sie als wissenschaftliche Fachgesellschaft denn die geltenden lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen ab?

Die lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der DGE wurden mithilfe eines neu entwickelten mathematischen Optimierungsmodells berechnet. Die Empfehlungen basieren also auf wissenschaftlichen Grundlagen und berücksichtigen gleichzeitig Ernährungs-, Gesundheits- und Umweltaspekte. Im Frühjahr 2023 hat die DGE die Methodik zur wissenschaftlichen Diskussion gestellt, sodass sie öffentlich kommentiert werden konnte. Die DGE-Arbeitsgruppe „Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen“ hat die eingegangenen Kommentare geprüft und die Methodik entsprechend überarbeitet.

Die Ergebnisse wurden kürzlich vorgestellt. Geben Sie uns ein paar Beispiele: Was hat sich konkret geändert?

Grundsätzlich – das ist das Schöne – bestätigen die Ergebnisse der neuen Ableitung die bisher gültigen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der DGE: überwiegend pflanzliche Lebensmittel, die durch einen geringeren Anteil von Lebensmitteln tierischer Herkunft ergänzt werden.

Im Detail ergeben sich allerdings einige Unterschiede:

  • Die pflanzlichen Lebensmittel werden stärker betont.
  • Hülsenfrüchte (Erbsen, Bohnen, Linsen, ...) und Nüsse sind wichtig für Gesundheit und Umwelt. Im DGE-Ernährungskreis werden sie ab sofort als eigene Gruppe hervorgehoben. Eine eigene Empfehlung macht deutlich, dass mindestens einmal in der Woche Hülsenfrüchte und täglich eine kleine Handvoll Nüsse verzehrt werden sollten.  
  • Für den Verzehr von Obst und Gemüse werden weiterhin zusammen mindestens 5 Portionen am Tag empfohlen; allerdings entfallen die ergänzenden einzelnen Portionsangaben von 3 Portionen Gemüse und 2 Portionen Obst.
  • Die angegebene Fleischmenge ist in den Empfehlungen mit maximal 300 g pro Woche geringer als bisher.
  • Bei Milch und Milchprodukten wird insgesamt eine Portion weniger pro Tag empfohlen als zuvor.

 

Viele unserer Leser*innen sind Fachkräfte oder Multiplikator*innen im Ernährungsbereich. Sie verbreiten Ihre Empfehlungen und richten ihre Arbeit auf Basis der DGE aus. Welche Auswirkung haben die Veränderungen auf die langjährige Arbeit der Akteur*innen? Was müssen sie nun beachten bzw. ändern?

Die alten 10 Regeln der DGE sind keine falschen Empfehlungen und können nach wie Orientierung bieten. Denn grundsätzlich bestätigt die neue Ableitung die bisher gültigen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der DGE.

Aber Fachkräfte und Multiplikator*innen aus dem Ernährungsbereich können sich selbst auf den neuesten Stand bringen, zum Beispiel indem sie sich über Neuerungen und Feinheiten auf der DGE-Webseite und in DGE-Medien informieren. Wenn sie diese Kenntnisse wiederum in ihre Arbeit einfließen lassen, hilft das im Endeffekt den Menschen in Deutschland bei der Annäherung an die beschriebene Ernährungsweise im Alltag. Die DGE bietet Interessierten ein breit aufgestelltes Informationspaket:

 

Darüber hinaus überarbeiten wir die Begleittexte und Materialien zum neuen DGE-Ernährungskreis und den DGE-Empfehlungen. Wir bitten hier um etwas Geduld.

 

Das ist sicher sehr hilfreich. Die neuen Ernährungsempfehlungen gelten aber erst einmal für gesunde Erwachsene im Alter von 18 -65 Jahren, die sowohl pflanzliche als auch tierische Lebensmittel, sprich eine Mischkost, essen. Richtig?

Ja, das stimmt. Es ist aber geplant, nach und nach angepasste lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen für weitere Ernährungsweisen, z. B. vegetarisch und vegan, und weitere Bevölkerungsgruppen, wie Kinder und Jugendliche oder Senior*innen, bereitzustellen. Bis dahin können die derzeitig vorhandenen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der DGE als Orientierung zur Lebensmittelauswahl für alle gesunden Bevölkerungsgruppen, auch für Schwangere/Stillende, dienen. Darüber hinaus gelten für Schwangere, Stillende, Säuglinge und Kleinkinder die Hinweise und Handlungsempfehlungen des Netzwerks Gesund ins Leben.

 

Vielen Dank, dass Sie uns die aktuellen Neuigkeiten erklärt haben. Eine letzte Frage: Wie entscheidend ist nun die Ernährungskommunikation, um die neuen Empfehlungen richtig und vor allem möglichst großflächig zu verbreiten? Können Sie uns hilfreiche Tipps an die Hand geben?

Die Kommunikation der neuen DGE-Empfehlungen ist eine Aufgabe, die auf viele Schultern verteilt werden muss.  So können wir gemeinsam die Menschen in Deutschland umfassend darüber informieren und sie anregen, ihre Ernährung entsprechend zu gestalten. Die DGE-Empfehlungen „Gut essen und trinken“ und der DGE-Ernährungskreis sind die Basis für leicht verständliche, alltagsnahe und visualisierte Ernährungsempfehlungen. Zur Kommunikation ist es hilfreich, sich zu überlegen, wer genau angesprochen werden soll und wie dies erreicht werden kann – sei es über Medien, Veranstaltungen oder persönlich. Grundsätzlich gilt: Die alltägliche Ernährung kann sich selbstverständlich von den Empfehlungen unterscheiden. In Deutschland entscheidet jede und jeder selbst darüber, was und wieviel sie oder er isst. Die lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der DGE bieten aber eine Orientierung auf dem Weg zu einer gesundheitsfördernden und umweltschonenderen Ernährung in Deutschland.