ZEHN - Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen

NEUE STARS AUF DEM TELLER! WIE GEMEINSCHAFTSGASTRONOMIE GESUND UND NACHHALTIG FÜR JUNGE MENSCHEN GELINGT

Die Jugend hat genaue Vorstellungen: Ernährung ist ein Thema, das junge Generationen bewegt. 9 von 10 Jugendlichen interessieren sich für Lebensmittel. 40 % der jungen Erwachsenen hinterfragen ihren Fleischkonsum. Sie ziehen Schlüsse für ihre eigene individuelle Lebensmittelauswahl, fordern aber auch den Staat zum Handeln auf.

Interview Jugendherbergen Michael Karge
© ZEHN, Foto: Björn Reschabek

Welche Rolle spielt dabei die Gemeinschaftsgastronomie? Wir haben mit Michael Karge, Koordinator für Speisen und Getränke der Jugendherbergen im Nordwesten gesprochen.

 

Herr Karge, als Jugendherbergen sind Sie im ständigen Kontakt mit jungen Menschen. Was sind Ihre Erfahrungen: Was wünschen sich junge Menschen sich auf dem Speiseplan?

Das ist gar nicht einfach zu beantworten. Wir haben Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen als Gäste. Die jüngeren Gäste sind schon sehr stark durch eher „einfache“ Küche geprägt. Pasta geht immer und Gemüse wird eher nicht so gern gesehen. Es kommt meistens darauf an, was sie von zu Hause kennen.

Wir bemerken hier aber einen langsamen Wandel: Das ein oder andere „Grünzeug“, vor allem wenn es appetitlich aussieht, aufgewertet wird und einen Hauch von Umami hat, spricht auch die kleinen Kinder an. Sobald sie älter werden, sind die Jugendlichen experimentierfreudiger und wagen auch gerne etwas „Neues“. Der Gemüseanteil darf dann auch höher sein. Wir berücksichtigen zudem verschiedene Esskulturen in unserem Speiseplan. So kommen immer mehr Zutaten, wie Couscous, Bulgur, Hülsenfrüchte etc. mit ins Spiel und finden starken Zuspruch bei allen Gästen.

 

Der Jugendreport zur Zukunft nachhaltiger Ernährung ergab, dass jungen Menschen eine nachhaltige Ernährung wichtig ist. Wie sieht Ihr Verpflegungskonzept in den Jugendherbergen aus? Wie schaffen Sie ein Angebot, dass gleichzeitig die Vorlieben der Jugend trifft und dabei nach Gesundheit und Nachhaltigkeit strebt?

Unser Konzept gibt vor, dass Gerichte weniger Fleisch benötigen, ohne die Portionen kleiner werden zu lassen. Fleisch ist – außer an einem Tag der Woche – bei uns nicht mehr der „Star“ und rückt ansonsten im Gericht an die zweite, dritte Stelle oder bildet sogar das Schlusslicht der Beschreibung auf der Karte. Klassische Gerichte werden neu interpretiert und behalten somit ihre Beliebtheit. Beispiel: Unsere Quinoa-Rindfleischfrikadelle enthält maximal 50 % Fleisch.

Ein weiterer Baustein ist, dass wir die vegetarische und vegane Küche mehr ins Rampenlicht setzten und dafür komplette Gerichte kreieren.  

Zudem hinterfragen wir herkömmliche Zubereitungsmethoden, um schon in der Produktion Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Gleichzeitig bekommen wir so zusätzlich mehr Frische auf unsere Buffets.

 

Weniger Fleisch, mehr pflanzliche Gerichte. Steigen wir da noch einmal tiefer ein: Der aktuelle Fleischkonsum in der Bevölkerung liegt weit über den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Bei den jungen Erwachsenen hinterfragen dagegen 40 % ihren Fleischkonsum. Welche Rolle spielen vegetarische und vegane Gerichte in Ihrem Speisenangebot?

Wir bieten unseren Gästen immer zwei Gerichte zur Auswahl an. Mittlerweile ist es bei uns Standard, dass vegetarische und vegane Angebote als eigenständige Gerichte präsentiert und nicht als „Beilagen-Restposten“ verkauft werden.

All unsere Speisen erhalten die gleiche Aufmerksamkeit. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die meisten Gäste, auch die, die gerne Fleisch essen, sich am vegetarischen bzw. veganen Gericht bedienen. Zudem erreichen wir eine höhere Zufriedenheit bei Vegetarier*innen und Veganer*innen, die sich mehr wertgeschätzt fühlen. Die alternativen Vor- und Zubereitungsmethoden, die wir gemeinsam entwickeln und einführen, geben uns auch spontan noch Möglichkeiten auf Unverträglichkeiten einzugehen, oder von vegetarisch auf vegan zu wechseln.

 

Damit sind Sie der Vorreiter, den sich so manche jungen Menschen wünschen: Sie fühlen sich in ihrer Essensauswahl in Mensen und Kantinen oft eingeschränkt. Fast 70 % der jungen Erwachsenen fordern sogar staatliches Handeln für eine klimafreundliche Ernährung. Welche Rolle spielt dabei die Gemeinschaftsgastronomie und -verpflegung? Was braucht es aus Ihrer Sicht und Erfahrung mehr, um ein gutes Verpflegungsangebot zu schaffen?  

Ich finde, dass eine nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung einen wesentlichen gesellschaftlichen Beitrag leisten kann. Der tägliche Bedarf an Lebensmitteln allein in unseren 27 Jugendherbergen bzw. in den über 400 Jugendherbergen bundesweit ist ja schon erheblich. Wenn viele Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung an einem Strang ziehen, um besser, gesünder und klimafreundlicher zu agieren, wird das nicht zuletzt ein wenig die Strukturen der Lebensmittelproduktion und auch die Einstellungen in der Gesellschaft gegenüber eines reduzierten Fleischkonsums beeinflussen. Die Jugendherbergen haben durch ihre Gemeinnützigkeit, und bei uns im Landesverband als anerkannter außerschulischer Lernort, diesbezüglich eine besondere gesellschaftliche Verantwortung.  Wir wollen durch stetige Weiterentwicklung unseren Beitrag leisten und als Vorbild vorangehen.  
 

Wie kann das gelingen?

Schon in der Ausbildung der gastronomischen und hauswirtschaftlichen Berufe sollten diese Themen besser in den Lehrplan einbezogen werden: Die Grundzubereitungen, die z.B. die Köch*innen in den Berufsschulen und Betrieben gelehrt bekommen, gehen in der warmen Küche meist über das Thema Fleisch. Es braucht aber mehr Inhalte zu kreativer, experimenteller, vegetarischer und veganer Küche. Schulen und Betriebe sollten alternative Zubereitungsmethoden vermitteln, zeigen was mit Gemüse und vielen anderen fleischlosen Zutaten in der heutigen Zeit möglich ist. Das Spektrum der Möglichkeiten hat sich enorm erweitert, das zeigt schon ein Blick in die richtigen Ecken der Sozialen Medien: Dort kommen über Jahrzehnte vernachlässigte oder auch wunderbare neue Geschmackswelten, auch aus anderen Kulturen, wieder auf. Oftmals einfach und auch kostengünstig. Es sollte mehr Fortbildungsangebote für Großküchen geben, um eine positive Entwicklung für nächste Generationen zu schaffen.        

 

Warum funktioniert es bei Ihnen gut, aber noch nicht überall?

Wie so oft, ist das Einfache und Neue gar nicht so leicht in der Gemeinschaftsverpflegung umzusetzen. Dafür ist Offenheit für Veränderung notwendig.

Wir sind bemüht, unsere Küchenleitungen und Fachkräfte in den 27 Küchen der Jugendherbergen einmal im Jahr zentral zu schulen, ich selber coache die Teams vor Ort. Insgesamt sind unsere Verpflegungskonzepte ein Gemeinschaftswerk. Sie leben von den Impulsen und der Kritik aus den Teams. Das erzeugt auch Offenheit für Veränderungen, hoffe ich. Da geht es auch mal zwei Schritte vor und einen zurück.

Unterm Strich scheint es unseren Gästen aber zu gefallen: Ihre Bewertungen über unser Online-Feedback-System haben sich verbessert. Und nur das zählt am Ende. 

Herr Karge, vielen Dank für den Einblick in Ihr Verpflegungskonzept. Mit Offenheit und Know-how Neues auszuprobieren, ist eine wichtige Botschaft, die Sie uns mitgegeben haben, um mehr pflanzenbetonte Speisen anzubieten und dabei auch die junge Generation zu begeistern.

 

Weitere Informationen zur Verpflegung in den Jugendherbergen finden Sie auf dieser Seite

Interview Jugendherbergen Michael Karge
© Die Jugendherbergen im Nordwesten, Björn Reschabek
Interview Jugendherbergen Michael Karge
© Die Jugendherbergen im Nordwesten, Björn Reschabek
Interview Jugendherbergen Michael Karge
© Die Jugendherbergen im Nordwesten, Björn Reschabek
Interview Jugendherbergen Michael Karge
© Die Jugendherbergen im Nordwesten, Björn Reschabek