ZEHN - Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen
Die Handlungsempfehlungen

Die Handlungsempfehlungen

Ernährungsarmut ist auch in Niedersachsen ein ernstzunehmendes Thema. Es äußert sich in materieller und sozialer Dimension.

13 Handlungsempfehlungen zeigen Ansätze, um Ernährungsarmut zu begegnen.

3:2 Frau vor Obstregal
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MATERIELLE ERNÄHRUNGSARMUT 

Von materieller Ernährungsarmut sind Menschen betroffen, denen es an Lebensmitteln an sich oder an den finanziellen Mitteln zum Erwerb dieser Lebensmittel mangelt. 

Aktuelle Studien und Statistiken zeigen: 

  • 51,1 % der armutsgefährdeten Haushalte sind in ihrer Lebensmittelauswahl eingeschränkt (DGE e. V., MEGA_kids-Studie 2024)
  • 27,7 % der armutsgefährdeten Haushalte kann sich nicht jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten (MS, HSBN 2025)

Eine gesundheitsfördernde Lebensmittelauswahl zu treffen, stellt somit für armutsgefährdete und -betroffene Haushalte eine große Herausforderung dar. 

 

SOZIALE ERNÄHRUNGSARMUT

Mit materieller Ernährungsarmut geht oft auch soziale Ernährungsarmut einher, die sich durch eingeschränkte Teilhabechancen kennzeichnet. Durch und beim Essen am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ist erschwert. 

Aktuelle Studien und Statistiken zeigen: 

  • 24,2 % der armutsgefährdeten Personen können es sich nicht leisten, mindestens einmal im Monat mit Freund*innen oder der Familie für ein Getränk oder eine Mahlzeit zusammenzukommen (MS, HSBN 2025)
  • 36 % der haushaltsführenden Elternteile haben sich in den letzten 30 Tagen geschämt oder versucht, die Ernährungssituation vor anderen zu verstecken (DGE e. V., MEGA_kids-Studie 2024)

Essen ist nicht nur zentral für die körperliche Gesundheit, sondern auch für die psychische Gesundheit, das Wohlbefinden sowie die soziale Zugehörigkeit. 

 

Armut Alter Soziale Teilhabe
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"Armut geht nicht notwendig mit Ernährungsarmut einher, aber wer arm ist, hat es schwer(er) sich gesundheitsfördernd zu ernähren." (WBAE 2023)

Materielle und soziale Ernährungsarmut gehen oft miteinander einher. Gegen Ernährungsarmut muss entschlossen und effektiv vorgegangen werden. Die im Fokusheft Ernährungsarmut aufgeführten Handlungsempfehlungen liefern dafür erste Ansätze. 


 

Illustration Schwanger
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Illustration Kind
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Illustration Frühstück
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Illustration Gemüse, Milch
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Armutsbetroffene Familien sollten dabei unterstützt werden, ihrem Neugeborenen einen guten Start in das Leben zu ermöglichen. Wissen, praktische Fertigkeiten sowie weiterführende Anlaufstellen rund um die Ernährung von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter sollten Teil der an werdende Eltern gerichteten Beratungsangebote sein. Ihre Lebenslagen und ihr Lebensumfeld sollten dabei armutssensibel berücksichtigt werden. Gleichzeitig sollten Strukturen im Sozialraum erhalten und gestärkt werden. 

 

Allen Kindern und Jugendlichen sollte täglich an niedersächsischen Kitas und Schulen ein nach Möglichkeit beitragsfreies MIttagessen bereitgestellt werden. Um eine qualitativ hochwertige Mittagsverpflegung sicherzustellen, sollten die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. für die Verpflegung in Kitas und Schulen gelten. 

 

Allen Kindern in Niedersachsen sollte ein qualitativ hochwertiges, nach finanzieller Möglichkeit der Schulträger beitragsfreies Frühstück zum Start in den Tag angeboten werden. 

 

Das EU-Schulprogramm sollte ausgeweitet werden, um mehr Kinder mit beitragsfreiem Obst, Gemüse und Milch zu versorgen. Die Ausweitung des EU-Schulprogramms sollte sich zum einen auf weirtere Schuljahrgänge (Jahrgänge 7 bis 10) erstrecken. Darüber hinaus sollte in Kindertagseinrichtungen und der Kindertagespflege zukünftig auch Obst und Gemüse angeboten werden. Eine flächendeckende Finanzierung zur Versorgung aller niedersächsischen Einrichtungen sollte sichergestellt werden. Als Ergänzung zur Milch sollten zusätzlich pflanzliche Milchalternativen, über Ladesmittel finanziert, aufgenommen werden. 

 

Illustration Studium
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Illustration Sozialräume
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Illustration Soziale Teilhabe
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Die finanzielle Unterstützung des Landes Niedersachsens für Gelder zur Subventionierung des Mensaessens und für Sofortmaßnahmen zur Linderung von finanziellen Notlagen sollten fortgeführt und ausgeweitet werden, um eine Versorgung von Studierenden mit bezahlbarem und gleichzeitig gesundheitsförderndem Essen zu unterstützen. 

 

 

Gemeinwesenarbeit, Quartiersmanagement, Angebote der aufsuchenden ARbeit oder andere strukturelle Programme sollten erhalten, gestärkt und in weiteren Gebieten Niedersachsens aufgebaut werden. Über sie werden Zugänge zu Menschen geschaffen und u. a. Kommunikations-, Netzwerk- und Raumstrukturen aufgebaut. Diese Ansätze würden es ermöglichen, die spezifischen Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen und die dort Lebenden in die Gestaltung ihres Lebensumfelds sowie der Angebote von Beginn an einzubeziehen. So könnten auch individuelle Ursachen und Folgen der Ernährungsarmut gesehen und adressiert werden. 

 

Eine eingeschränkte soziale Teilhabe sollte als Folge von Ernährungsarmut anerkannt werden. Durch das Etablieren kostenfrei zugänglicher gemeinschaftlicher Angebote und Räume mit Bezug zu gemeinschaftlichem Essen und Trinken könnten effektive Maßnahmen gegen soziale Isolation, Einsamkeit und Ausgrenzung unternommen werden. Sie würden Möglichkeiten zum Austausch mit und unter Betroffenen sowie gemeinschaftliche Erlebnisse schaffen. Optional könnten – wenn von den Betroffenen gewünscht – Informationen zu Unterstützungsleistungen verbreitet werden.  

 

 

 

Illustration Lebensmittelweitergabe
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Illustration Leitungswasser
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Illustration Beratung
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Tafeln und andere karitative Angebote der Lebensmittelweitergabe sollten bei ihrem zumeist ehrenamtlichen Einsatz zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen und der Weitergabe von Lebensmitteln an armutsbetroffene Menschen staatlich unterstützt werden. Dazu sollten rechtliche Hürden abgebaut sowie Absicherungen geschaffen, Infrastrukturen verbessert und Kommunikationswege ausgeweitet werden.

 

Allen Bürgerinnen und Bürgern sollte der kostenfreie Zugang zu qualitativ hochwertigem Trinkwasser ermöglicht werden. Als Teil der gesetzlich verankerten Daseinsvorsorge sollte die öffentliche Hand vermehrt Leitungswasser über Trinkwasserbrunnen an öffentlichen Orten bereitstellen. Darüber hinaus sollten weitere Abgabestellen wie Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung oder die Gastronomie davon überzeugt werden, Leitungswasser kostenfrei anzubieten.

 

Das Angebot zielgerichteter und auf den Bedarf der Betroffenen abgestimmter Beratungs- und Informationsangebote sollte ausgeweitet werden. Personen aus beratenden und informierenden Organisationen sowie Personen, die Angebote vermitteln, müssen entsprechend qualifiziert sein. Um dies zu gewährleisten, sollten neben Beratungs- und Informationsangeboten für Betroffene selbst auch Fortbildungsangebote für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Fachkräfte angeboten werden. Neben ernährungsbezogenen Bildungsinhalten sollten sie auch Informationen zu rechtlichen und sozialwissenschaftlichen Aspekten im Umgang mit Ernährungsarmut umfassen, um Hintergründe zu verstehen, einen armutssensiblen Umgang zu praktizieren und strukturelle Veränderungen mitzudenken sowie anzustoßen.

 

Illustration Forschung
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Illustration Geld
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Illustration Zusammenarbeit
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Vorliegende wissenschaftliche Forschungsergebnisse sollten in politischen und institutionellen Entscheidungsprozessen sowie in der Konzeption zielgerichteter Handlungsansätze einbezogen werden. Dazu sollte auch auf vorhandene Erkenntnisse und Datenlagen aus anderen (Bundes-) Ländern zurückgegriffen werden. Dort, wo offene Fragestellungen bestehen, sollten neue Forschungsansätze gefördert werden. Praktische Projekte sollten wissenschaftlich begleitet werden, um diese wirksamkeitsorientiert weiterzuentwickeln.

 

Das Land Niedersachsen sollte sich den Empfehlungen des WBAE anschließen und sich auf Bundesebene für eine Anpassung der Regelbedarfsermittlung der Grundsicherungsleistungen in Hinblick auf die Sicherstellung der Ermöglichung einer gesundheitsfördernden Ernährung einsetzen. Darüber hinaus sollte geprüft werden, wie und in welchem Umfang die soziale Funktion von Ernährung bei der Berechnung des Regelbedarfs als zusätzlicher Betrag berücksichtigt werden kann.

 

Die Vielschichtigkeit der Handlungsansätze gegen Ernährungsarmut sowie die Notwendigkeit des Ineinandergreifens unterschiedlicher Maßnahmen sollten anerkannt werden. Ernährungsarmut sollte als Querschnittsthema angesehen werden, das politisch ressortübergreifend bearbeitet werden muss. Um die Zusammenarbeit einzuleiten und Maßnahmen aus dem Fokusheft in die Umsetzung zu transferieren, sollte eine interministerielle Projektgruppe eingerichtet werden. Dies betrifft insbesondere die auch im Koalitionsvertrag genannten Themen der Einführung eines "kostenlose[n] und qualitativ hochwertige[n], nach Möglichkeit regionale[n] Mittagsangebots in der Schule" (vgl. S. 58, Zeile 32 ff.), "die Ausweitung des Schulobstprogramms auf alle Schulformen" (vgl. S. 42, Zeile 45 ff.) und die "Sicherung der Essensversorgung" über die Studierendenwerke zur Wahrnehmung ihrer sozialen Verantwortung".